Hallo aus Dhaka

Liebes Zuhause, liebe Familie, liebe Freunde und liebe Unbekannte,

Ich bin auf Weltreise. Diese erste Nachricht an euch tippe ich in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch.
Ich hab mich im letzten Jahr dazu entschieden meinen Job zu kündigen und die Welt zu bereisen. Sowieso denke ich, dass es mehr Träume verdient haben, verwirklicht zu werden.
Ich möchte nicht irgendwann an meinen letzten Tagen ein trauriges Resümee meines Lebens ziehen und auf eine graue Zeit zurück blicken in der ich Dinge tat, die ich nicht mochte und Aufgaben hatte, die mich nicht erfüllten.
Ich möchte lieber Geschichten schreiben voller Erfahrungen, Freude, Angst und Mut, die ich an meinen letzten Tagen nochmal erzähle.

Ich wollte nach Bangladesch um hier mehrmonatig humanitär zu arbeiten. Dazu habe bin ich einem deutschen gemeinnützigen Verein beigetreten, der Lichtbrücke. Dazu werde ich nochmal einen gesonderten Beitrag schreiben, um euch die einzelnen Beweggründe zu erläutern.
Jedenfalls gab es Schwierigkeiten mit dem Langzeitvisum und der Plan musste im Dezember kurzfristig geändert werden. Zusammen mit 2 Mitarbeitern der Lichtbrücke und einem Touristenvisum im Pass bin ich nun aber doch, wenn auch erstmal nur für 1 Monat, nach Bangladesch gekommen.
Wir besuchen hier unsere bengalischen Partnerprojekte die ganz wertvolle Arbeit leisten gegen die Armut.
Wohin es mich nach meinem Monat Bangladesch treibt, weiß ich noch nicht. Meine Lebenszielliste gibt aber genug her. Ich bin gestartet unter dem Motto „planlos geht der Plan los“. Aber ich bin zuversichtlich, dass alles schön wird.
Meine Wohnung ist untervermietet, Auto bei Papa geparkt, Job gekündigt. Freiheit, hier bin ich.

Nun aber zurück zu meiner Reise. 1 Jahr und 1 Tag nachdem ich mit meinem damaligen Arbeitgeber zwecks Jobaufgabe ins Gespräch ging, startete ich. Am 10.01.2018 um 17.20 Uhr ging mein Flieger von Köln über Istanbul nach Dhaka.
Der Abschied war schwer als meine Eltern, Schwester, Freunde und Neffen am Flughafen standen, mit Tränen in den Augen. Ich kann ja nichtmal sagen, dass ich in 4 Wochen zurück bin. Mein planloser Plan hat ein Oneway Ticket mit open End. So grob habe ich ein Jahr angepeilt, aber ich lasse das Leben auf mich zukommen.
Es gibt ja 2 Arten von Abschied. Der, bei dem der Andere geht. Und der, bei dem man selbst geht. Es wäre einfacher gewesen wenn meine Familie und Freunde am Flughafen abgehauen wären und mich hätten stehen lassen. So aber musste ich mich umdrehen und Richtung Sicherheitskontrolle einschlagen…und einen Fuß vor den anderen setzen. Es fühlt sich dann so an als hätte man Kiloweise Beton in den Schuhen und kommt nicht vorwärts. Aber ich hab es geschafft.
Meine Neffen hatten ein ganz wunderbares Abschiedsschild parat, viele Küsschen und die Worte „Julia, ich mag dich mega!“
Der Herr an der Passkontrolle fragte mich wohin es denn gehe. Nach Dhaka, sagte ich. Irritiert schaute er auf und frug mich, wie man es eben in Köln so tut : „wat mäht ma denn do?“ Ich war drauf und dran weiterzuheulen und dachte mir nur, dass ich das auch nicht weiß, lieber wieder zu Mama und Papa gehe, vor Wut auf den Boden stampfe und mal laut brülle. Was ich stattdessen tat: lächeln, Tränen zurück halten und kurz die Intention meiner Reise sachlich zusammenfassen. Man, bin ich erwachsen. Da hab ich mich mal altersentsprechend benommen und meinem inneren Kind keinen Vortritt gewährt. Ach, wat war ich stolz.

Der erste Flug bis Istanbul war entspannt, die 5 Stunden Zwischenstopp in Istanbul nervig, und der zweite Flug nach Dhaka anstrengend.
Ich hatte mir für beide Flüge Fensterplätze im voraus reserviert. Auf dem zweiten Flug kam eine junge Bengalin zu mir, checkte die Platznummer und erklärte mir erleichtert auf Englisch (Ist ja offensichtlich, dass ich kein Benglisch spreche), dass sie so froh sei, dass ich ne Frau sei und deshalb neben mir sitzen könne. Wäre ich ein Mann wäre das wohl schwierig geworden. Sie und ihr Mann hatten wohl keine zusammenhängenden Plätze bekommen. Ok, hab ich so zur Kenntnis genommen. Der Flug war anstrengend da sehr viele Familien mit kleinen Kindern dabei waren. Ich war umzingelt von kleinen Dauerbrüllern. Hörte der eine auf, hat gleich der nächste übernommen.

Pünktlich mit der Ankunft in Dhaka fingen die Uhren an auch wieder langsamer zu laufen.
Hier braucht alles ein bisschen mehr Zeit. An der Pass- und Visakontrolle standen wir ne gefühlte Ewigkeit. Ebenso an der Gepäckausgabe. Und durch den Stadtverkehr zum Hotel brauchten wir hundert Jahre für 10 km. So fühlt es sich zumindest an, wenn man sehr müde ist. Zwischen Landung und Einchecken im Hotel vergingen 4 Stunden.
Am Flughafen wurden wir von Herren der bengalischen Partnervereine abgeholt. Sie kamen zahlreich und nach dem dritten Atemzug bengalischer Luft hatte ich schon 2 wunderschöne Blumengestecke in der Hand.

Der Straßenverkehr ist ja in jedem Land anders. Aber Bangladesch toppt wirklich alles. Diese kleinen CNG (ähnlich wie Tuk Tuk), Rikschen, Busse aller Größen, Autos, Motorräder etc. Teilen sich die Straßen. Die Straßen ohne Markierungen. Jeder hupt um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist einfach alles voll. Kein Vorankommen, dicht an dicht. Aber am Ende funktioniert es irgendwie. Das ist hier so, als würde der Straßenverkehr im Kollektiv stattfinden.

Am Abend waren wir Essen. Zusammen mit 4 Bengalen, die sich ein schönes Restaurant ausgesucht hatten um uns einzuladen. Speisen wurden bestellt und geteilt. Ich hab mich dann an Gemüsesuppe und Reis satt gegessen, das Fleisch hatte Knochen und der Rest war too spicy für meinen deutschen Magen.

Ich war froh, als ich später im Hotel war. Nach 33 Stunden ohne Schlaf war ich nur noch ein wandelnder Wackelpudding. Ein Hüpf unter die Dusche, ein Hüpf ins Bett und Tag 1 der Weltreise war auch schon rum. Heute früh um 8 haben sind wir die Reise nach Kushtia angetreten. Dort besuchen wir die Produktion der Sono Wasserfilter. Die Fahrt war mit 6 Stunden kalkuliert. Nach aktuellem Stand werden wir das aber nicht schaffen. Wir mussten Tanken. An allen 3 Tankstellen gab es heute kaum Gas da kein Druck auf den Leitungen war. Also mussten auch wir warten. Warum wir aber nicht in der Schlange warten mussten, weiß ich nicht. Wir durften dran sobald das Gas wieder strömte. Wir sind übrigens in einem Minivan unterwegs. Ein Bengalischer Partner, der alle Projekte hier koordiniert, begleitet uns und wir haben einen Fahrer. Wir sind zu fünft im Auto.

An der Tankstelle hab ich die Gunst der Stunde genutzt mich mal umzusehen. Ich sah eine Backsteinfabrik. Eine Bengale stellte sich zu mir und wir kamen ins Gespräch. Also eins von diesen Gesprächen mit Händen und Füßen. Ich wollte die Bscksteinfabrik sehen. Meine 2 deutschen Mitstreiter, Stefan und Wolfgang, kamen auch mit. Zusammen mit dem bengalischen Unbekannten sind wir den Lehmhang runter, ich wollte querfeldein zur Fabrik…ging aber nicht. Da waren Reisfelder die ja unter Wasser stehen. Also haben wir außenrum einen neuen Trampelpfad geschaffen. Wir haben gesehen, wir der Lehm in Formen geklopft und umgestülpft wird. Das Prinzip ist das gleiche wie beim Kuchenbacken im Sandkasten. Die Lehmziegel werden später aufgereiht gestapelt und dann gebrannt. Der Transport von Station 1 zum Brennofen erfolgt mit so Schiebewagen. Alles echte Knochenjobs. Die Männer waren sehr freundlich, ich durfte sie fotografieren und sie winkten aus der Ferne. Auch die anwesenden Frauen waren neugierig und kamen angelaufen und schenkten mir viele breite Grinsen. Das war eine gute Erfahrung und sehr interessant zu sehen. Ihr seht, es hat immer alles was Gutes. Selbst wenn das Gas an der Tankstelle mal nicht verfügbar ist. Hätten wir sofort Gas bekommen, hätte ich vermutlich nie den Prozess der Backsteinherstellung gesehen.

Der Bengale, der uns dort rumführte, brachte uns auch zurück zur Tankstelle. Aber wohin er gehörte und was er dort tat wissen wir nicht. Wir haben leider keinen Tee bekommen, es gab nur Wasser an den Straßenständen. Wie auch immer er es geschafft hat…nachdem unser Auto getankt war und wir eigentlich weiter wollten, stand er grinsend mit 3 Teetassen mit Tee vor uns. Er hatte genauso viel Freude an unserer Begegnung wie wir.
Aus den Brocken die er englisch sprach vermutete ich einmal die Frage ob ich verheiratet sei. Ich hab es vorsichtshalber mal bejaht.
Ich werde mir bei nächster Gelegenheit mal nen Ehering zulegen. Dann kann ich, falls diese Situation mal kommen sollte, immer gleich abblocken und auf meinen Ehemann verweisen. Wer von euch möchte denn gerne in meinem Ehering eingraviert werden? Haha

Weiter ging es bis zum Fluss, wo wir uns wieder stundenlang in die Schlange zur Fähre einreihen mussten. Und nsch 6 Stunden im Auto kam dann der Moment, dass ich merkte, dass ich so langsam mal Pipi muss. Neben der Autoschlange stehen kleine Sichtschutze aus Folie. Hinter einem kommt eine Frau hervor. Ich vermute, dass es sich um „Damentoiletten“ handelt. Die Damen hier tragen weite Tücher, da ist das sicher einfach hinter so nem meterhohen Ding zu machen. Hinhocken, Tuch/Rock hoch, laufen lassen, aufstehen und Rock gleichzeitig fallen lassen, fertig! Ich stelle mir mich kurz vor. Die zu enge Skinny Jeans mit uneleganten Hüftbewegungen vom Hintern pellen, dabei schon hocken weil sonst mein nackter Poppes über der Folie raus guckt, Jacke hochhalten, versuchen nicht auszurutschen in dem Lehmlache….Idee verworfen. Ich muss doch nicht mehr.
Kurz vor der Fähre kommen viele Bettler, Fensterputzer, Verkäufer an unserem Auto vorbei. Die je nach „Branche“ eben Geld, Geld gegen Fensterputzen oder Geld gegen Ware wollen. Wir wurden ausdrücklich darauf hingewiesen keinem Bettler und schon gar nicht den Kindern Geld zu geben. Wenn man das „Geschäft“ mit der Kinderbettelei am Laufen hält, gibt es noch einen Grund mehr die Kinder nicht zur Schule zu schicken.
Ich frage 2 Frauen nach einer Toilette, gar nicht so leicht eine zu finden. Die Straßen sind überall voll mit Männern. Die Frauen verstehen das internationale Wort Pipi, haben aber keine Toilette im Angebot…aber da wir einmal im Gespräch sind werde ich auch hier wieder nach Geld gefragt.
Auf der Fähre sind wir die einzigen Ausländer. Ich muss mich noch daran gewöhnen der Ausländer zu sein. Ich hab nie das Gefühl gehabt, dass jemand ne böse Absicht hat aber jeder schaut mich an. Wir fallen sofort auf.
Auf der Fähre gibts dann auch eine Toilette. Zumindest sowas in der Art. Eine Kleine Kabine die unter Wasser steht, mit einer Toilette und ner defekten Klospülung. Diese wurde aber schon durch nen Draht ersetzt und das System verstehe sogar ich.
Und da jetzt wieder Platz in der Blase ist, gibt’s erstmal neuen Tee.

Wir sind jetzt auf dem letzten Stück Landweg Richtung Kushtia. Wenn ihr das lest wisst ihr, dass ich angekommen bin. Ich brauche erst Internet für den Upload. Am Straßenrand wird überall Obst und Gemüse verkauft. Ich hoffe ich komme heute auch noch zu so einer großen, orange leuchtenden Mandarine.

Beim nächsten Mal wird es wieder ernster, wenn ich das erste Projekt dann hinter mich gebracht habe und euch mehr über die Armut erzählen kann und die Misstände.

Ihr glaubt es nicht, genau in diesem Moment wird mir von Herrn Ahmet aus der hinteren Reihe hier im Van eine dieser Mandarinen nach vorne gereicht.

Ich muss Schluss machen und es mir schmecken lassen. Viele Grüße an alle die mich kennen, und an den Rest auch.

Tausend Küsse aus Bangladesh von einer holprigen Straße…irgendwo zwischen Dhaka und Kushtia.

Julia


4 Gedanken zu “Hallo aus Dhaka

  1. Wow, ich bin ja absolut überrascht, was ich hier lese. Ist das tatsächlich die kleine Julia, die ich kenne???? Meine Hochachtung zu dem, was Du da vorhast!
    Ich wünsche Dir viel Erfolg und Zufriedenheit auf Deiner „Mission“ und ehrlich – irgendwie bin ich schon etwas neidisch!
    Aber auf jedem Fall freue ich mich, bald wieder etwas hier von Dir zu lesen.
    Liebe Grüße

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  2. Sehr schön und ergreifend geschrieben 😗bin sehr gespannt was der Weg dir bringt 😗bin sehr gespannt auf das was kommt…😄🍀👍 LG Silvia

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